Sex Work and Human Rights

Sonderbericht

In der Höhle des Löwen: Ein Abend unter Prostitutionsgegnern

Die Veranstaltung*

In der ersten Dezemberhälfte besuchte ich eine Ausstellung und einen Vortrag mit dem Titel Liberating Herstories, Gerichtigkeit für ‘Trostfrauen’ durch Kunst, die sich mit den „Themen der sexuellen Sklaverei, des Menschenhandels, und der Gewalt gegen und Unterdrückung von Frauen“ beschäftigte (übersetztes Zitat der offiziellen Beschreibung). Die Veranstaltung, organisiert vom House of Sharing International Outreach Team, war Teil einer Vortragsreihe, die die Angelegenheit der sogenannten ‚Trostfrauen‘ beleuchtete, ein euphemistischer Ausdruck, mit dem Mädchen und Frauen bezeichnet werden, die für die japanischen Kriegsbordelle des Zweiten Weltkrieges zwangsprostituiert wurden. Die verbleibenden Überlebenden, die oft schlicht halmonis (Großmütter) genannt werden, protestieren jede Woche vor der japanischen Botschaft in Seoul, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, von der japanischen Regierung eine angemessene Entschädigung für ihr Leid zu erhalten.

Protest der koreanischen ‘Trostfrauen’ (Foto: AP/Ahn Young-joon)

Ich habe durchaus Verständnis für den Protest der halmonis, aber ich sehe nicht die gleichen Zusammenhänge zwischen deren Kampf und den Umständen in der heutigen Sexindustrie, wie die Organisatoren der Veranstaltung es in ihrer Beschreibung taten. Mir war im Vorhinein bewusst, dass die Organisatoren und die Mehrheit der Teilnehmer wahrscheinlich dem Spektrum der Prostitutionsgegner entstammen würden, die jedwede Form von Sexarbeit (Prostitution) als Ausbeutung ansehen, und die sich oft auf (die Rettung von) Frauen und Minderjährige(n) konzentrieren, eine Sicht, die ich nicht unterstütze. Da der Vortrag jedoch den Titel „Die heutige Sexindustrie in Korea“ trug, entschied ich mich dennoch teilzunehmen, um zuzuhören und um zu versuchen, mich in einigen sinnvollen Diskussionen zu engagieren.

Klarstellung

Eine koreanische Freundin teilte mir kürzlich mit, dass meine Äußerungen, dass ich “durchaus Verständnis für den Protest der halmonis” hätte und dass ich das “Verhalten der japanischen Regierung, die überlebenden halmonis nicht zu entschädigen” als einen gerechtfertigter Grund für öffentliche Proteste ansähe, auf sie eher wie ein Lippenbekenntnis wirkten als ein aufrichtiges Bekenntnis. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, den folgenden Absatz hinzufügen.

Ich bestreite mitnichten die Erfahrungen und das große Leid, dass die Frauen erleiden mussten, die während der Kolonialherrschaft Japans über Südkorea als Sexsklaven missbraucht wurden. Die Entschädigung der ‘Trostfrauen’ ist jedoch höchst komplizierte Angelegenheit, und meiner Ansicht nach ist es dem Fehlverhalten sowohl der japanischen als auch der koreanischen Regierung geschuldet, dass bisher keine Lösung gefunden wurde, da es beide versäumen, die Interessen der ‘halmonis’ zur höchsten Priorität zu erklären. Ich stimme der Vermischung der ‘Trostfrauen’-Problematik mit der heutigen Sexindustrie in Südkorea nicht zu und habe das Thema nur als Teil meiner Analyse des Vortrags von Jin Kyeong CHO erwähnt.

Für diejenigen, die sich für die Problematik der Entschädigung der ‘Trostfrauen’ interessieren, empfehle ich die folgenden Artikel als Ausgangspunkt. http://tinyurl.com/y4rtr8 | http://tinyurl.com/88w69l4 | http://tinyurl.com/72rw5hw | http://tinyurl.com/omeof

Der Vortrag

Der Vortrag wurde von Jin Kyeong CHO (조진경) gehalten, der früheren Direktorin des Dasi Hamkke Centers (다시함께센터), einer Kollaboration zwischen einer Nichtregierungs- und Regierungsorganisation, die sie im Jahr 2003 half zu etablieren. Das Center „hilft Opfern/Überlebenden von sexueller Ausbeutung (‚sex trafficking‘) beim Ausstieg aus dem Sexhandel” und betreibt „Kampagnen und andere Projekte, um die Öffentlichkeit über den Sexhandel zu informieren”. (Zitate von der Web- und Facebook-Seite des Centers.) Cho hat aktiv an Südkoreas Anti-Sexhandelsgesetzen (성매매특별법, Seongmaemae Tteukbyeolbeob) mitgearbeitet, die im Jahr 2004 verabschiedet wurden, und sowohl die Käufer als auch die Anbieter*innen sexueller Dienstleistungen mit Gefängnis- und empfindlichen Geldstrafen belegt.

Lobenswerterweise hatten die Organisatoren der Veranstaltung der Vortragenden eine Dolmetscherin zur Seite gestellt, so dass sowohl der Vortrag als auch die Diskussion im Anschluss zweisprachig zu verfolgen war. Trotz des Titels begann der Vortrag mit einem geschichtlichen Abriss der Prostitution in Korea, und es schien mir, dass Frau Cho andeutete, dass es ein Phänomen wäre, das vornehmlich mit dem Gebaren in Korea stationierter ausländischer Streitkräfte zu tun hätte. Obwohl sie später das Wachstum und die Größe des einheimischen Marktes für sexuelle Dienstleistungen erwähnte, hatte sie m. E. dennoch, sei es willentlich oder unabsichtlich, an die nationalistische Gesinnung appelliert, die dem Thema Prostitution in Korea zugrunde liegt und die Schuld auf Ausländer verlagert, obwohl in der Realität hauptsächlich koreanische Kunden die Dienste in der koreanischen Sexindustrie in Anspruch nehmen.

Das Verhalten der japanischen Regierung, die überlebenden halmonis nicht zu entschädigen, oder das SOFA Abkommen zwischen Südkorea und den Vereinigten Staaten, welches besagt, dass amerikanische Gerichte zuständig sind, wenn Mitglieder des amerikanischen Militärs in Korea Straftaten begehen, repräsentieren beide gerechtfertigte Gründe für Proteste in der Öffentlichkeit. Meiner Ansicht nach werden diese Themen jedoch oft von Nationalisten besetzt, um eine ausländerfeindliche Stimmung zu schüren, und daher hielt ich Frau Cho’s Einlassungen zumindest unglücklich.

Truppen der USA (Foto: AFP)

Es zeigte sich jedoch, dass Frau Cho nicht so sehr von Fremdenfeindlichkeit getrieben schien, als von ihrer Überzeugung, dass das ‚Trostfrauen-System‘ während der Kolonialherrschaft Japans, die Rotlichtviertel nahe der amerikanischen Militärstützpunkte in Korea und die heutige Sexindustrie allesamt identische Merkmale aufweisen, die aus einem patriarchalischen Gesellschaftssystem resultieren, das abgeschafft werden muss, und das sämtliche Formen der Prostitution Gewalt gegen Frauen darstellen.

Frau Cho benutzte für die Sexindustrie den Ausdruck ‚sex trafficking‘. Mehr dazu unter ‚Wortwahl 1‘ (siehe unten).

Im folgenden werde ich Teile ihrer Präsentation zusammenfassen, die einen Eindruck davon vermitteln, welche Stimmungslage Frau Cho kreierte und welche Art von Darstellungen sie vermitteln wollte.

Der Mord an Yun Geum-I

Frau Cho begann ihren Vortrag mit der Erzählung des Mordes an der Prostituierten Yun Geum-i (윤금이) durch den Gefreiten Kenneth Lee Markle, einem berühmt-berüchtigten Fall, in dem „Markle, der der Zweiten Division der Streitkräfte der Vereinigten Staaten angehörte, Yun am 28. Oktober 1991 brutal ermordete und sie dann mit mehreren Objekten penetrierte“ (Quelle: The Hankyoreh, Übersetzung des Autors)

Vergewaltigung (2011) by Azi, Iranische Künstlerin, Open Art Studio

Sie fuhr dann fort mit der Aufforderung an die Zuhörer, im Internet nach dem Foto zu suchen, das am Tatort aufgenommen wurde, und welches der Auslöser für Frau Cho war, sich für die Lebenssituationen von Prostituierten in Südkorea zu interessieren.

Ich bin ihrem Vorschlag später gefolgt und kann anderen nicht empfehlen, es mir nach zu tun. Stattdessen werde hier ich einen Link zu einem Eintrag bei Wikipedia einfügen, der den Fall zusammenfasst und keinerlei Bilder beinhaltet. Ich glaube jedoch, dass die obige Beschreibung ausreichend detailliert ist. Klicken Sie hier, wenn sie weitere Details über den brutalen Mord an Yun Geum-i erfahren möchten.

“Gülle trinken”

Der zweite Fall, den Frau Cho erwähnte, war der erste Fall, den sie als Mitarbeiterin der Regierungsorganisation bearbeitete, die Opfern von Gewalt und Missbrauch Hilfe anbietet.**

An ihrem ersten Arbeitstag erhielt Frau Cho einen Anruf eines verzweifelten Vaters, der sie um Hilfe bat, seine Tochter zu finden. Sie hatte das Haus ihrer Familie eine Woche zuvor verlassen und war nicht zurückgekehrt. Stattdessen hatte sie von einem Mobiltelefon angerufen, das einem Kunden der Bordells gehörte, in dem sie gelandet war. Nachdem sich Frau Cho einen Weg durch die koreanische Verwaltungsbürokratie und die Vollzugsbehörden gebahnt hatte, konnten der Kunde, das Bordell und schließlich die Tochter ausfindig gemacht werden.

Sie weigerte sich jedoch das Bordell zu verlassen, es sei denn die Polizei würde auch eine behinderte Frau retten, von der sie behauptete, sie werde gezwungen in dem Bordell zu arbeiten. Die Polizei drohte ihr eine Strafe an, sollte sich diese Behauptung als Lüge herausstellen, doch die Frau beharrte darauf, die Wahrheit gesagt zu haben. Die Polizei durchsuchte daher die Räumlichkeiten und fand die behinderte Frau. Diese weigerte sich jedoch ebenfalls das Bordell zu verlassen und behauptete, sie würde dort nicht als Prostituierte arbeiten, und dass die Besitzer sie wie ihre eigenen Eltern behandeln würden.

Während der folgenden 13 Stunden langen Befragung wechselten sich Wut gegen die junge Frau ob ihrer falschen Behauptungen ab mit Koketterie gegenüber den Polizeibeamten. Frau Cho zufolge hatte die Frau schlicht keinen Grund, ihr oder den Beamten, die zugegen waren, zu vertrauen.

Die Tochter jedoch gab auf die Frage, welche Form von Missbrauch sie bezeugen konnte, an, dass sie sowohl mitangesehen hatte, wie die Frau mit in Zeitungspapier und Strumpfhosen eingewickelten Seifestücken geschlagen wurde, als auch dass sie durch die Haare hindurch mit erhitzten Metall-Essstäbchen auf ihrer Kopfhaut gestochen wurde, wodurch jegliche Missbrauchsspuren verborgen geblieben wären. Sie fügte hinzu, dass die Frau nur Reste zu essen bekam und nur die abstoßendsten Kunden bedienen musste. Einmal musste sie mitansehen, wie sie dazu gezwungen wurde Gülle zu trinken, wodurch sie sich übergeben musste.

Am zweiten Tag der Befragung hatte Frau Cho schließlich das Vertrauen der Frau in ausreichendem Masse gewonnen, die daraufhin berichtete, wie sie vor häuslicher Gewalt in ihrer Familie geflohen war und sich ihren Lebensunterhalt in dem Bordell verdient hätte. Nachdem Frau Cho ihr weitere Unterstützung durch ihre Organisation versichert hatte, bestätigte die Frau schließlich die Angaben der jüngeren Frau, und so verließen die beiden Frauen gemeinsam mit Frau Cho das Bordell.

Auseinandersetzung mit einem Zuhälter

Im Zusammenhang mit derselben Geschichte berichtete Frau Cho auch von einer Auseinandersetzung mit einem der Zuhälter des Bordells.

Zuhälter: “Was zum Teufel glaubst Du eigentlich wer Du bist?“

Frau Cho: “Wie kannst Du es wagen, so mit mir zu reden, Du, der diese behinderten Frauen missbraucht hast? ”

Zuhälter: “Ich habe diese nutzlosen Frauen aufgenommen und ihnen etwas zu essen, eine Unterkunft und eine Arbeit gegeben.”

Frau Cho: “Du glaubst allen Ernstes Du bist hier die Fürsorge?!”

Zuhälter: “Genau das bin ich.“

Eine nicht überzeugende Überzeugung

Frau Cho beendete ihren Vortrag mit der Behauptung, dass sie in all den Jahren, die sie in diesem Bereich tätig sei, ausschließlich Zustände wie die von ihr beschriebenen vorgefunden habe, und dass diese repräsentativ seien für „die Erlebnisse von allen Frauen, die in der Sexindustrie arbeiteten“.

Ich habe bereits zugegeben, dass ich der Argumentation von Prostitutionsgegnern im Allgemeinen nicht zustimme, aber von einer koreanischen Expertin mit vielen Jahren Felderfahrung zu hören, dass sie keinerlei positive Beispiele von erfolgreichen Sexarbeiter/innen in Korea hatte finden können, ließ mir keine Wahl als die Glaubwürdigkeit ihrer Forschungsbemühungen anzuzweifeln.

Ich bin ein weißer Mann mit eingeschränkten Kenntnissen der koreanischen Sprache. Wenn ich Sexarbeiter/innen in Korea begegne, mag ich auf den ersten Blick eher als potentieller Kunde erscheinen denn als Forscher. Daher mag man erwarten, dass Sexarbeiter/innen zu finden, die bereit sind sich interviewen zu lassen, eine ziemliche Herausforderung darstellen muss. Ich weiß aber bereits nach den wenigen Monaten, die ich in mein Forschungsprojekt investiert habe, von Sexarbeiter/innen, die mehr als ausländische Englischlehrer in Korea verdienen, (was eine sehr einträgliche Arbeit ist), und deren hauptsächliche Beschwerde das negative Stigma ist, das ihrer Arbeit anhaftet.

Die Behauptung Frau Cho‘s, dass nur weiße Sexarbeiter/innen gutes Geld in der Sexindustrie verdienen würden, kann daher verworfen werden.

Ich bezweifle nicht, dass die Erlebnisse, die Frau Cho erzählte, so geschehen sind. Ich bezweifle auch nicht, dass sich Ähnliches jederzeit zutragen kann. Ich habe jedoch begründete Zweifel, dass Frau Cho’s Schlussfolgerung stimmig ist, dass diese Erlebnisse die Erfahrungen „aller Frauen, die in der Sexindustrie arbeiten“ repräsentieren, denn alle Sexarbeiter/innen, mit denen ich bisher gesprochen habe, erzählen mir von anderen Erfahrungen.

Die Erzählweise von Prostitutionsgegnern

Prostitutionsgegner benutzen oft Erzählungen von Gewalt und dramatischen Rettungen, um die Klischees des schutzlosen Opfers und des starken Helden oder der starken Heldin zu verstärken. Dadurch erregen sie erfolgreich Mitgefühl unter ihren Zuhörern, ermutigen sie dazu ihrer Sache beizutreten, und gewinnen so eine stets anwachsende Gemeinde von Unterstützern, die ihrer Ideologie folgt, anstatt die wachsende Beweislage, die ihr widerspricht, zu untersuchen.

Selbst wenn einiges bei der Übersetzung verloren gegangen sein mag, ist wohl anzunehmen, dass der Zuhälter in der obigen Geschichte zumindest mitschuldig war an der Körperverletzung, die diese Frauen erleiden mussten. Aber Frau Cho benutzte wieder einen der schlimmsten Fälle, um ein Klischee aufrechtzuerhalten – das des brutalen Zuhälters bar jedweden Respekts für menschliches Leben.

Anti-Prostitutions-Kampagnenposter*

Ich schrieb zuvor, dass ich nicht anzweifle, dass sich die Geschehnisse, die Frau Cho beschrieb, in der Tat so zugetragen haben, noch, dass sie nicht anderswo genauso geschehen könnten; aber Gewalt geschieht vielerorts, nicht zuletzt in der eigenen Familie.

Wer behauptet, dass Mord, Brutalität und Erniedrigungen in der Sexindustrie alltägliche Vorkommnisse sind, ist entweder vom Ekel getrieben, den das Bezeugen von schockierenden Menschenrechtsverletzungen auslöst, oder aber von der Motivation, solche Beispiele ganz bewusst zu benutzen, um in anderen Furcht hervorzurufen und sie zu überzeugen, ihrer Agenda beizutreten – der Ausrottung jeglicher Geschäfte, in denen sexuelle Dienste für Geld angeboten werden.

Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der Prostitutionsgegner der zweiten Gruppe angehört, und dass sie durch den gezielten Einsatz von schockierenden Bildern und verstörenden Geschichten anstreben, das Klischee von Prostituierten als ohnmächtige Opfer bar jeder Entscheidungsfähigkeit immer wieder aufs Neue zu verstärken.

Durch ihren starken Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf Politiker gelingt es ihnen dabei, dergestalt auf Regierungen einzuwirken, dass sie mehr und mehr Aspekte der Sexindustrie gesetzlich verbieten. Dadurch wird die Sexindustrie immer mehr in den Untergrund getrieben, mit fatalen Folgen für die Menschen, die in ihr arbeiten.

„Dieser Opferstatus ist ein Werkzeug, um uns zum Schweigen zu bringen und um unsere angebliche Entscheidungsunfähigkeit zu rechtfertigen. Sexarbeiter/innen sind nie von Bedeutung in dieser Debatte. Wir werden wie Kinder behandelt, die Schutz benötigen, oder werden als psychisch krank dargestellt mithilfe von verlogenen Statistiken über Kindesmissbrauch, Vergewaltigungen und posttraumatische Belastungsstörungen. Es wird über uns gesagt, dass wir von der Normalität entfremdet sind und uns in einem falschen Bewusstsein befinden, solange wir „in der Prostitution“ tätig sind, und nur wenn wir rehabilitiert sein werden, werden wir unsere Vergangenheit als eine begreifen, in der wir uns selbst Schaden zufügten. … Warum wollen manche Politiker Sex im gegenseitigen Einverständnis zwischen Erwachsenen kriminalisieren, gleichzeitig aber nichts tun um Vergewaltigungen zu stoppen?“

(Quelle: Thierry Schaffauser, Foto: Philippe Leroyer)

Es fällt nicht leicht, jemanden wie Frau Cho der absichtlichen Benutzung von schockierenden Bildern und verstörenden Geschichten zu beschuldigen. Möchte sie letzten Endes nicht einfach nur helfen?

Altruismus ist jedoch nicht die primäre Antriebskraft von Prostitutionsgegnern. Stattdessen ist es der Wille ihre Überzeugung zu propagieren, dass Prostitution untrennbar mit Ausbeutung verbunden ist, und dass Prostituierte ohne Ausnahme Opfer sind, die Rettung benötigen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass sie selbst wählen in der Sexindustrie zu arbeiten.

Das Recht auf Arbeit, per Definition in der UN-Menschenrechtscharta, besagt, dass „[j]eder … das Recht auf Arbeit [hat], auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.”

Durch die Gleichsetzung von einvernehmlichen Sexdienstleistungen unter freien Erwachsenen mit Menschenrechtsverletzungen entziehen Prostitutionsgegner Sexarbeiter/innen nicht nur das Recht auf Arbeit, sie zielen auch darauf ab, Kritiker ihrer Agenda zum Schweigen zu bringen, wie ich später am gleichen Abend des Vortrags von Frau Cho am eigenen Leib erfahren sollte.

Wortwahl, Teil I

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose, aber ist sexuelle Ausbeutung gleichzusetzen mit Menschenhandel und Prostitution?

Eine Rose Ist Eine Rose Ist Eine Rose (Foto: Maureen Costantino)

Im Folgenden werde ich darstellen, dass die Rhetorik von Prostitutionsgegnern nicht allein von semantischer Bedeutung ist; sie treibt eine Agenda voran, die Menschenrechtsverletzungen nicht verhindert sondern fördert.

Die meisten Aktivisten, die sich den Kampf gegen den Menschenhandel oder gegen die Prostitution zum Ziel gesetzt haben, und auch die Medien benutzen diese Bezeichnungen heutzutage als wären sie austauschbar, obwohl sie durchaus nicht die gleichen Angelegenheiten beschreiben. Der Begriff ‚sexuelle Ausbeutung‘ (‚sex trafficking‘) wird oft benutzt, um ‚Sexarbeit‘ oder ‚Prostitution‘ zu beschreiben. Als Sexarbeiter/in (Prostituierte/r) zu arbeiten ist jedoch nicht dasselbe wie ‚illegal gehandelt‘ zu werden, per Definition des UN-Menschenhandelsprotokolls vom Jahr 2000, wenn keine Täuschung, Nötigung, oder ein Transport innerhalb oder über nationale Grenzen hinweg vorliegt.

Es mit den Begriffen ‚sexuelle Ausbeutung‘ und ‚Menschenhandel‘ nicht so genau zu nehmen, legt nahe, dass beides ein und dieselbe Angelegenheit ist, wenn ‚sexuelle Ausbeutung‘ (‚sex trafficking‘) jedoch ausschließlich den ‚Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung‘ meint, der eine Minderheit aller Fälle des Menschenhandels darstellt. Die Mehrheit der Fälle sind solche, in denen Menschen zu Zwangsarbeit in Fabriken, im Bausektor oder in Fischereibetrieben gezwungen, oder als Angestellte in privaten Haushalten ausgebeutet werden.

Mit der Feststellung, dass die Fälle von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in der Minderheit sind, möchte ich mitnichten andeuten, dass sie minderwertig im Sinne von ‚vernachlässigbar‘ wären. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass ein Begriff, der suggeriert, dass ‚Menschenhandel‘ und ‚sexuelle Ausbeutung‘ die gleichen Phänomene sind, sich durchaus nachteilig auf Gesetzgebungen auswirkt, die den Menschenhandel umfassend eindämmen könnten, da er die Aufmerksamkeit und Ressourcen ausschließlich auf einen Aspekt des Problems konzentriert.

Zu suggerieren, dass jegliche Form der Prostitution sexuelle Ausbeutung darstellt, ist nicht allein eine Ansichtssache; die unterschiedlichen Situationen, in denen Menschen sexuelle Dienstleistungen anbieten, als untrennbar von Gewalt zu klassifizieren, beeinträchtigt den Diskurs über das Thema dergestalt, dass Gesetze verabschiedet werden, die Prostitution illegal erklärt, was im Gegenzug zu Menschenrechtsverletzungen gegen dieselbe Zielgruppe führt, die solche Gesetze vorgeben schützen zu wollen.

Prostitution als Sexarbeit zu definieren, eine Bezeichnung, die Sexarbeiter/innen selbst geprägt haben, wird von Teilen der Frauenbewegung heftig angefochten … Laut der Webseite der Koalition gegen den Frauenhandel (CATW) „beutet jedwede Form der Prostitution Frauen aus, ungeachtet dessen, ob [die sexuelle Handlung] in ihrem Einvernehmen geschieht. … Prostitution betrifft alle Frauen, rechtfertigt den Handel mit jedweder Frau, und reduziert alle Frauen zu Sexobjekten. … Lokale und globale Sexindustrien verletzen Frauenrechte systematisch und in steigendem Masse.“

Wie Laura Lederer, eine prominente Pornographiegegnerin in den 1980er Jahren, Gründerin des Schutzprojekts (Protection Project) gegen den Menschenhandel und Senior Advisor des auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten zum Thema Menschenhandel, erklärt: „[Prostitution] stellt keine legitime Erwerbstätigkeit dar. … Es kann nie legitim sein, so seinen Lebensunterhalt zu verdienen, denn es ist durch und durch schädlich für Männer, Frauen und Kinder. … Diese gesamte kommerzielle Sexindustrie ist eine einzige Menschenrechtsverletzung.“

„Sex ist allein Ehen vorbehalten, in denen ein lebenslanges Bündnis zwischen einem Mann und einer Frau existiert. … Wenn Sex kommerzialisiert wird, werden die moralischen Grundsätze unserer Gesellschaft beschädigt.“ Die zweite Aussage ist ein Zitat eines Artikels, der einen entsprechenden Titel trägt: „Sex ist keine Arbeit“.

Prostitutionsgegner sehen kommerzielle Sexdienstleistungen nicht nur als ausbeuterisch an, sondern auch als zutiefst schädlich für die Charakterstärke von Menschen. … Wenn Sex keine Arbeit darstellt, dann kann es auch keine im Einvernehmen tätigen Sexarbeiter/innen geben, mit der logischen Schlussfolgerung, dass Prostitutionsgegner untauglich sind, für die Rechte von Sexarbeiter/innen einzutreten. Doch es ist nicht allein das. Da die Agenda von Prostitutionsgegnern die Kriminalisierung eines „jeden Standortwechsels zu einem Ort, an dem ein Individuum sexuelle Dienstleistungen anbietet“ beinhaltet, was alle Formen der Prostitution automatisch als ‚sexuelle Ausbeutung‘ klassifiziert, wird freiwillig agierenden Sexarbeiter/innen nicht nur ihre Entscheidungsfähigkeit vorenthalten; sie werden auch effektiv in Gefahr gebracht, da Razzien in Bordellen, zum Teil hervorgerufen durch Gesetze, die unter dem Einfluss der Anti-Prostitutions-Lobby entstehen, es Sexarbeiter/innen unmöglich machen, adäquate Hilfsdienste in Anspruch zu nehmen und so die Wahrscheinlichkeit von Ausbeutung in die Höhe treiben.

(Quelle: Matthias Lehmann, “Transnationalisierung einer thailändischen Graswurzelbewegung. Ein umfassender Ansatz zur Vorbeugung des Menschenhandels.”, Seiten 8-10.)

Wortwahl, Part II

Während ihres Vortrags und der anschließenden Diskussionsrunde machte Frau Cho von vielfältigen Taktiken von Prostitutionsgegnern Gebrauch. Ich erwähnte bereits ihre irrige Behauptung, dass nur ‚weiße‘ Sexarbeiter/innen gutes Geld in der Sexindustrie verdienen würden, sowie ihre fragwürdigen Bemerkungen zu Beginn, die anzudeuten schienen, dass Prostitution ein ‚ausländisches‘ Problem sei, und ihre Ermunterung nach dem Foto der brutal ermordeten Yun Geum-i zu suchen.

Im Folgenden werde ich eine Auswahl von Frau Cho’s weiteren Aussagen beleuchten, inklusive einiger ihrer aufschlussreichen Versprecher.

1. Als Frau Cho über Prostituierte referierte, sprach sie von „Frauen, die noch in der Sexindustrie arbeiten“, mit der Betonung auf ‚noch‘. Es scheint, dass ihrer Ansicht nach, in der Sexindustrie zu arbeiten nur eine Übergangsphase vor einem Ausstieg oder einer Rettung darstellen kann.

2. Als Frau Cho über Kunden sprach, die mit Prostituierten ‚schliefen‘, korrigierte sie sich schnell selbst. „Ich kann nicht ‚ schlafen‘ sagen. Ich sollte ‚kaufen‘ sagen.“ Es scheint, dass Sex ihrer Ansicht nach nicht länger mit konventionellen Bezeichnungen beschrieben werden kann, sobald Geld involviert ist. Es erinnert einen an den zuvor zitierten Artikel „Sex ist keine Arbeit“. „Wenn Sex kommerzialisiert wird, werden die moralischen Grundsätze unserer Gesellschaft beschädigt.“ Ein Verhalten, das von manchen als unmoralisch angesehen wird, stellt dadurch aber nicht automatisch eine Menschenrechtsverletzung dar.

Anti-Prostitutions-Kampagnenposter (Detailansicht)*

3. Auf die Frage nach der Bandbreite der Sexindustrie in Korea antwortete Frau Cho, dass „die Größe der Sexindustrie einzuschätzen sei wie die Sterne am Himmel zu zählen“ und „wo auch immer Männer sind, sind solche Orte [Bordelle]“. Sie stellte auch die Gegenfrage: „Gibt es hier [in Korea] überhaupt Männer über zwanzig, die noch nie Sex gekauft haben?“

Zusammen mit ihren drastischen Beschreibungen von Gewalt und ihrer wiederholten Aussage, dass sie „Erfahrungen, die alle Frauen machen, die in der Sexindustrie arbeiten“, repräsentieren, kreierte Frau Cho eine fühlbare Atmosphäre von Schock und Ohnmacht, wie die Reaktionen der Zuhörer deutlich machten.

4. Abgesehen von ihrer Analyse der Prostitution in Korea, teilte Frau Cho auch ihre Ansicht mit, dass Frauen, die mit US-Amerikanern verheiratet wären und in die Vereinigten Staaten zögen, mit wenigen Ausnahmen unglücklich lebten, hervorgerufen durch häusliche Gewalt, Drogenmissbrauch ihrer Ehemänner, oder weil sie in die Prostitution gezwungen würden. Nach dieser Aussage beeilte sich Frau schnell hinzuzufügen, dass sie nicht meinte, dass „jede einzelne Frau“ unglücklich sei. „Ich muss vorsichtig sein. Natürlich gibt es auch einige Paare, die glücklich zusammen leben.“ In Anbetracht ihrer fragwürdigen Bemerkungen zu Beginn, verstärkte diese pauschale Verallgemeinerung den Eindruck, dass ihrer Wahrnehmung nach Frauen schlimme Dinge nicht allein durch Männer widerfahren, sondern speziell durch ausländische Männer.

Die Whartons, eine koreanisch-amerikanische Familie (Foto: Josh Douglas Smith)

5. Als eine Zuhörerin nach Frau Cho’s Einschätzung der verschiedenen Gesetzesmodelle fragte, die in Ländern wie Neuseeland, Schweden oder den Niederlanden existieren, antwortete sie, dass das eine sehr schwierige Frage sei. Dann begann sie zu erzählen. „Im Jahr 2007 war ich in Deutschland, wo sexuelle Ausbeutung legal ist…äh…wo Prostitution legal ist.“ In aller Fairness, dieser Versprecher mag durch die Müdigkeit der Übersetzerin ausgelöst gewesen sein, aber es war nicht von der Hand zu weisen, dass Frau Cho es mehr als nur einmal mit den Begriffen nicht so genau nahm.

Sie fuhr fort zu erklären, dass Prostituierte in Deutschland Steuern zahlen müssen und dass Deutsche Prostituierte als schmutzig empfänden, wobei keine dieser Aussagen irgendeine Information darüber beinhaltete, was sie über Gesetzgebungen dachte, die Prostitution nicht vollständig verbieten. Sie zitierte dann eine Studie mit über 3,000 Prostituierten in Deutschland, die herausgefunden hatte, dass nur 1% aller Befragten „registriert“ gewesen seien, ohne jedoch irgendwelche Einzelheiten zu benennen, z.B. was sie mit „Registrierung“ meinte, warum Prostituierte sich nicht registrierten, oder auf welchen Bericht sie sich bezog.

Im November 2005 wurde in Deutschland der „Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG)“ veröffentlicht, im Anschluss an ein 18 Monate währendes Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Forschungsteam interviewte 305 Sexarbeiter/innen und fand, dass nur 1% von ihnen angab „einen Arbeitsvertrag als Prostituierte zu haben“ (Seite 15, deutsche Version)

Als Haupthinderungsgrund gaben die Sexarbeiter/innen die Ungewissheit an, ob ein Arbeitsvertrag ihnen wirklich irgendwelche sozialen oder materiellen Vorteile bringen würde, und in welchem Ausmaß sie womöglich mit unerwarteten Nachteilen konfrontiert würden.

Die häufigste Antwort war, dass sie sich schlicht nicht vorstellen konnten, wie solche Verträge aussehen sollten.

„Ich denke, richtig hilfreich wäre ein Arbeitsvertrag für gar keine Prostituierte. Man muss sehr vorsichtig sein mit Arbeitsverträgen, weil durch diese auch eine Ausbeutung der Frauen auf eine ganz andere Art und Weise entstehen kann. Okay, du kriegst einen Arbeitsvertrag, aber dafür musst du dann Französisch total machen oder musst einen Service bieten, den der Kunde haben will. Wenn Frauen das zum Preis der sozialen Absicherung angeboten wird, dann würde ich jeder Frau raten, das nicht zu tun.“ (Seite 55, deutsche Version)

Weitere immaterielle Bedenken, die Sexarbeiter/innen in Bezug auf Arbeitsverträge äußerten, waren unter anderem das gesellschaftliche Stigma, das aus dem Verlust der Anonymität resultieren würde, der Verlust der Autonomität und Selbstbestimmung, und der Verlust der absoluten Flexibilität, was die Arbeitszeit und die Auswahl der sexuellen Dienstleistungen und der Kunden anbetrifft – alles hoch geschätzte Vorteile eines unregulierten Arbeitsverhältnisses. Diese für mehr Sicherheit aufgeben zu müssen bedeutete für viele Sexarbeiter/innen, dass die Kosten für Arbeitsverträge den Nutzen übersteigen würden. (Seite 257)

Ob Frau Cho sich auf denselben Bericht bezog, überlasse ich der Beurteilung der Leserinnen und Leser, aber was von Bedeutung ist, ist, dass der Bericht eine große Vielfalt an Gründen liefert, warum Sexarbeiter/innen sich gegen Arbeitsverträge entschieden hatten. Eine Studie, die zehnmal so viele Sexarbeiter/innen befragt hätte, hätte mit Sicherheit einige dementsprechende Erkenntnisse geliefert.

Der einzige Teil von Frau Cho’s Kommentar zu der eigentlichen Frage, der als Antwort angesehen werden konnte, war, dass sie sagte, „Ich glaube nicht, dass eine Legalisierung der richtige Weg ist.“ und dass sie glaube, es würde Gewalt hervorrufen. Sie blieb jedoch wieder jedweden Nachweis schuldig, der diese Behauptung unterstützen könnte.

Der Gebrauch von nicht nachweisbaren, ungenauen und nebulösen Daten ist, neben den drastischen Beschreibungen von Gewalt, eines der meist genutzten rhetorischen Werkzeuge von Prostitutionsgegnern. Sie präsentieren als Fakten, was meist wenig mehr ist als Einzelberichte, Zeitungsausschnitte oder Forschungsberichte, über die keinerlei Informationen existieren, was ihre Methodik oder ihren Forschungsrahmen anbetrifft.

Üblich ist auch solche angeblichen Fakten zu benutzen, um pauschale Urteile über extrem vielschichtige Zusammenhänge zu fällen, etwas, das Frau Cho durch ihren gesamten Vortrag hinweg tat. Ihr zufolge machten die Frauen, die sie angetroffen hatte, „alle ähnliche Erfahrungen“, die so von „allen Frauen, die in der Sexindustrie arbeiteten“ gemacht würden. Die ‚Trostfrauen‘, die Prostituierten in den Rotlichtvierteln nahe der amerikanischen Militärstützpunkte in Korea, und die, die in der heutigen Sexindustrie arbeiten – sie alle erleiden dieselbe Unterdrückung, die von einer „patriarchalischen Gesellschaft, die abgeschafft werden muss“, hervorgerufen wird. Daher „sollten alle Menschen diese Art von Verbot unterstützen“. Offen gesagt, ich verlor aus den Augen wie viele Male Frau Cho das Wort „alle“ benutzte.

6. Am Ende der Diskussionsrunde hob ich meine Hand, um eine Frage zu stellen.

„Vielen herzlichen Dank für Ihren Vortrag und dafür, dass Sie uns von Ihren Erfahrungen erzählt haben. Ich würde gerne einen Kommentar abgeben und eine Frage stellen. Erstens würde ich gerne auf Ihre Aussage antworten, dass nur weiße Prostituierte gutes Geld in der Sexindustrie verdienen würden. Ich möchte diese Behauptung gerne widerlegen. Ich weiß von einheimischen Prostituierten in Thailand und Südkorea, die viel Geld verdienen, so dass es zumindest zwei Länder gibt, für die Ihre Annahme nicht korrekt ist.

Zweitens möchte ich gerne sagen, dass ich keinen Grund sehe, die schrecklichen Geschichten, die Sie hier heute erzählt haben, anzuzweifeln. Ich würde Sie jedoch gerne fragen, wie sie sich die Existenz der globalen Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter/innen erklären. Diese Bewegung existiert nicht nur in reichen Industrienationen, sondern auch in Ländern wie Südafrika, Indien, Kambodscha, und sogar in Südkorea. Mir ist bekannt, dass Sexarbeiter/innen manchmal dazu gezwungen werden, bei Protestkundgebungen für eine Entkriminalisierung oder Legalisierung von Prostitution teilzunehmen. Ich kenne jedoch viele Sexarbeiter/innen, die freiwillig bei solchen Protesten teilnehmen. Wenn die Zustände überall so schlecht sind wie Sie sie beschrieben haben, wie erklären Sie sich dann, dass Sexarbeiter/innen für ihr Recht unter solchen Bedingungen zu arbeiten protestieren?“

Protest von Sexarbeiter/innen in Seoul am 22. September 2011 (Foto AP)

Frau Cho reagierte auf meine Frage wie der Profi, der sie ist. Sie begann ihre Antwort damit, zu sagen, dass meine Frage eine „sehr wichtige“ sei, lenkte dann aber vom Thema ab, wie sie es schon bei der Frage nach ihrer Meinung über gesetzliche Alternativen zu Verboten getan hatte.

Dieses Mal beschrieb sie einen Fall einer koreanischen Waisen, die von ihren Pflegeeltern misshandelt worden war und keinerlei Schulbildung genossen hatte. Als sie heranwuchs, begann sie als Haushaltshilfe zu arbeiten und wurde später mit falschen Versprechungen in die Prostitution gelockt. Als sie sich der Arbeit verweigerte, wurde sie von einer Gruppe von Zuhältern vergewaltigt. Innerhalb der folgenden beiden Jahre verwandelte sie sich jedoch in eine Luxus-Prostituierte, die jedwede sexuelle Handlung leistete, die angefragt wurde, und verdiente damit viel Geld. (Hatte nicht Frau Cho vorher gesagt, dass nur weiße Prostituierte gutes Geld verdienen würden?) Als sie genügend Geld angespart hatte, um sich von dem Besitzer des Bordells, in dem sie arbeitete, freizukaufen und ihre Freiheit wiederzuerlangen, überredete sie ein Zuhälter zu einer Fehlinvestition, infolge derer sie ihr gesamtes Geld verlor.

An diesem Punkt ihrer Erzählung angelangt, erregte sich Frau Cho und erklärte, dass Frauen wie die in ihrem Beispiel keine Wahl bliebe als diese Art von Arbeit zu verrichten. „Wir können nicht sagen, dass sie so arbeiten wollen“, wenn sie keine andere Wahl haben. „Das ist nicht nur eine Angelegenheit in Südkorea. Andernorts ist es noch schlimmer.“

In aller Fairness, Frau Cho ging nicht so weit, mich der Förderung der Prostitution anzuklagen, eine ansonsten häufige Reaktion von Prostitutionsgegnern, wenn andere ihre Behauptungen widerlegen oder andeuten, dass jemand tatsächlich vorziehen könnte, sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen. Ihre Antwort diente jedoch dem gleichen Zweck. Mithilfe dieses weiteren schlimmstmöglichen Falls, um die widerwärtigen Zustände in der Sexindustrie darzustellen, war sie meiner Frage ausgewichen und hatte ein weiteres Mal ihrer Botschaft Nachdruck verliehen, dass die Sexindustrie immer von ausbeutender Qualität ist und dass Prostituierte ohne Ausnahme „immer Missbrauchsopfer“sind, die der Rettung bedürfen.

Weiße Jungs bringen’s gefälligst nicht

Nachdem die Diskussionsrunde geendet hatte und Frau Cho gegangen war, näherte ich mich der Frau, die sie nach den Gesetzesmodellen in anderen Ländern gefragt hatte. Ich fand heraus, dass sie eine kanadischstämmige Asiatin war und die Freundin eines der Organisatoren der Veranstaltung. Laut eigener Aussage hatte sie sich „viele Jahre lang mit dieser Angelegenheit beschäftigt“. Ich sagte zu ihr, dass ich fand, dass sie eine gute Frage gestellt hatte, und dass Frau Cho meines Erachtens nicht auf meine Frage geantwortet hatte. Sie antwortete: „Na, auf meine Frage hat sie auch nicht wirklich geantwortet.“ In Bezug auf meine Frage fuhr sie dann fort, dass ihr „bewusst sei, wie umstritten dieses Thema ist“ und dass „Sexarbeiter in Kanada sehr lautstark“ seien in ihrem Protest für ihre Rechte. Wir fuhren fort mit einer Diskussion über ihre Sicht, dass „meinen Körper zu verkaufen“ sie zum Objekt machen würde und dass „das Problem [der Prostitution] von der Nachfrage angetrieben sei“.

Als sie begann, Statistiken zu erwähnen, fragte ich nach ihren Quellen und versuchte zu meine Sicht zu erklären, dass, wenn es um einen informellen Sektor geht wie bei der Sexindustrie, Statistiken fast immer Hochrechnungen von Nachforschungen darstellen, die allzu oft sowohl fragwürdig und von eingeschränkter Bedeutung sind (siehe 5.), als auch potenziell voreingenommen, abhängig davon, wer das Forschungsprojekt finanziere. Während ich jedoch versuchte mich zu äußern, unterbrach sie mich mehrmals und sagte schließlich im Scherz, zu einem anderen Teilnehmer gewandt, „Komm und hilf mir bitte.“ und „Oh Du meine Güte, so weit ist es schon gekommen, dass ich mich vom weißen Mann retten lassen muss.“

Es stellte sich heraus, dass der ‚weiße Mann‘ Tom Rainey-Smith aus Neuseeland war, Koordinator von Amnesty G48, einem offiziellen Ortsverband von Amnesty International Korea. Er war im Begriff zu gehen, und, in eine andere Richtung blickend, trocken sagte: „Nein, danke. Ich will meine Zeit nicht verschwenden.“

Als ich ihn ruhig fragte, warum er das sagen würde, begann er mich zu anzugreifen und fragte mich, wie ich „als Mann hier herkommen“ und so reden könne wie ich es getan hatte. Als ich ihn fragte, ob er damit meinte, dass ich aufgrund meines Geschlechts nicht das Recht hätte, meine Meinung zu äußern, machte er einen Rückzieher.

Um zu versuchen ihn zu einer Diskussion zu ermutigen, erwähnte ich meine vorherige Tätigkeit bei einer Grasswurzel-Organisation, die Jugendliche im ländlichen Norden Thailands fördert, was er anerkannte. Aber als ich zum Thema des Abends zurückkehrte und erklärte, dass ich es seltsam fand, die heutige Sexindustrie mit der Zwangsprostitution während eines Krieges vor über 60 Jahren zu verknüpfen, reagierte er empört und fragte mich, warum ich über „das eine Prozent reden würde bei denen die Sachlage anders wäre“.

Ich hatte keine Gelegenheit zu fragen, ob er von dem 1% von Sexarbeiter/innen sprach, die Arbeitsverträge in Deutschland haben, oder vielleicht von dem 1% von Sexarbeiter/innen auf der Welt, von denen er annimmt, dass sie vielleicht wirklich freiwillig tätig sind, aber ich fand es schon einen interessanten Punkt an sich, dass ein Menschenrechtsaktivist mich fragte, warum ich nicht die Menschenrechtsverletzungen an einer Minderheit ignorieren wolle.

Wie ich noch versuchte zu antworten, fuhren die beiden fort ihrer Empörung Luft zu machen, und als ich sie schließlich darauf hinwies, machten sie sich über mich lustig. „Oh, kann der Mann seinen Satz nicht zu Ende bringen?“ Zu diesem Zeitpunkt ließen die Organisatoren wissen, dass der Veranstaltungsort nun schließen würde, und so beschloss ich, es dabei zu belassen.

Frau Cho hatte die Situation perfekt inszeniert und sie hätte sich keine treueren Gefolgsleute wünschen können.

Organisationen für die Rechte von SexarbeiterInnen (Image: Matt Lemon)

Epilog

Um weitere Unannehmlichkeiten zu vermeiden, wählte ich eine andere Route, um zur U-Bahn-Station zu gelangen. Doch als ich von einer Linie in eine andere umstieg, lief ich natürlich direkt der Kanadierin über den Weg. Sie lächelte unbehaglich und sagte: „Oh, wir sitzen ja im selben Zug.“, worauf ich zynisch lächelnd entgegnete: „Na, das ist sicherlich nicht metaphorisch gemeint.“

*Passagen in Anführungszeichen sind, wo nicht anderweitig vermerkt, Übersetzungen von zitierten Aussagen, die ich während der Veranstaltung aufgezeichnet habe.

**Da die Veranstaltung zweisprachig abgehalten wurde, gingen einige Details durch die Übersetzung verloren. Ich hatte keine Gelegenheit herauszufinden, ob diese Organisation die gleiche war, deren Direktorin sie später wurde.

Danksagung

Ich möchte mich an dieser Stelle herzlichst bei meinem Vater Herrn Christoph Lehmann bedanken, der wie so oft weder Zeit noch Mühen gescheut und meinen Text Korrektur gelesen hat.

Forschungsprojekt Korea, 1. März 2012

Leave a comment