Sex Work and Human Rights

Eine Mogelpackung der Zwangskoalition

Koalitionsvertrag CDU CSU SPD [1]

Menschenhandel und Prostitution im Koalitionsvertrag

Da die Bekämpfung von „Zwangsprostitution“ bzw. Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung* seit geraumer Zeit viel Beachtung in den Medien und der breiten Öffentlichkeit erhält, ist das Thema nun auch Bestandteil des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD.

Zuvor war die Union mit ihrem Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels und Kontrolle von Prostitutionsstätten im Bundesrat gescheitert, da es „dem Ziel, den Menschenhandel einzudämmen beziehungsweise zu bekämpfen sowie die erforderliche Überwachung von Prostitutionsstätten zu ermöglichen, nicht gerecht“ wurde und der grundsätzlichen Kritik von Fachleuten nicht Rechnung trug.

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und deutet an, dass die Union nicht gewillt ist, das Gesetz wie vom Bundesrat empfohlen grundlegend zu überarbeiten, wohingegen die SPD, die das Prostitutionsgesetz im Jahr 2002 gemeinsam mit den Grünen verabschiedete, ihren Widerstand aufgegeben zu haben und die Pläne der Union zu unterstützen scheint, nachdem sie noch im September im Bundesrat dagegen votiert hatte.

Der Koalitionsvertrag beinhaltet folgende Passage zum Thema „Menschenhandel, Prostitutionsstätten“.

Wir wollen Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser schützen und die Täter konsequenter bestrafen. Künftig sollen Verurteilungen nicht mehr daran scheitern, dass das Opfer nicht aussagt. Für die Opfer werden wir unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthaltsrecht verbessern sowie eine intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten.

Zudem werden wir das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessern. Wir werden nicht nur gegen die Menschenhändler, sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen, vorgehen. Wir werden die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus der Bekämpfung des Menschenhandels nehmen.

Was auf den ersten Blick wirken mag wie die Einhaltung des Versprechens Angela Merkels, sich das Thema „nochmal ganz besonders zu Herzen“ zu nehmen, birgt in Wahrheit eine Vielzahl von Mängeln, die im Folgenden erläutert werden werden.

1. Geschlechtsspezifische Voreingenommenheit („gender bias“)

„Wir wollen Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser schützen“

Männliche und transsexuelle Sexarbeiter_innen finden keine Erwähnung, obwohl insbesondere letztere überproportional von gewalttätigen Übergriffen betroffen sind.

Mehr als häufig sind Trans*-Frauen darauf angewiesen, Sexarbeit zu machen, weil der Arbeitsmarkt ihnen sonst kaum Gelegenheiten gibt, ihre eigene Existenz zu sichern. Gerade die Migrantinnen haben es auf dem Straßenstrich schwer, weil sie sich bei Gewalt-Fällen schwieriger an die Polizei wenden können und insgesamt noch weniger gesehen oder gehört werden als andere Trans*-Frauen. [Quelle: Gays & Lesbians aus der Türkei, GLADT e.V.]

2a. Kein unbeschränktes Aufenthaltsrecht für Menschenhandelsopfer

„Für die Opfer werden wir unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthaltsrecht verbessern sowie eine intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten.“

Einer der wenigen Punkte, bei denen sich die Befürworter_innen und Gegner_innen der Prostitution einig sind, ist, Opfern sexueller Ausbeutung unabhängig ihrer Aussagen vor Gericht gegen Menschenhändler ein unbeschränktes Aufenthaltsrecht zu gewährleisten. Zitat aus der Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat:

Ein weiterer wichtiger Baustein zur effektiven Bekämpfung des Menschenhandels ist die Stärkung der Opfer von Menschenhandel. Diesen Teilaspekt klammert das Gesetz aus. Die Ausgestaltung dieses Aufenthaltsrechts muss den besonderen Erfordernissen der Situation Rechnung tragen, in der sich die Betroffenen befinden. So dürfen etwa aufenthaltsrechtliche Beschränkungen nicht an der Teilnahme an Zeugenschutzprogrammen hindern.

Obwohl die vorliegende Version des Koalitionsvertrags das Aufenthaltsrecht nun nicht mehr gänzlich ausklammert, ist die Formulierung dennoch derart vage gehalten, dass hier keine wirksame Verbesserung für Menschenhandelsopfer zu erwarten ist. Wie die Lücken im Bereich der Opferentschädigung geschlossen werden sollen, bleibt ebenfalls offen, denn die Finanzier- und Machbarkeit der intensiven Unterstützung, Betreuung und Beratung, die gewährleistet werden soll, bleibt unerwähnt.

2b. Irrelevanz der Aussagen von Menschenhandelsopfern

„Künftig sollen Verurteilungen nicht mehr daran scheitern, dass das Opfer nicht aussagt.“

Einer der gefährlichsten Pläne ist, die Aussagen von vermeintlichen oder tatsächlichen Menschenhandelsopfern bei der Strafverfolgung ignorieren zu wollen. Auch wenn die Frustration der Strafverfolgungsbeamten über die schwierige Beweislage verständlich ist, kann es nicht die Antwort sein, die Aussagen bzw. Nichtaussagen von Menschenhandelsopfern zu missachten.

Dies würde bedeuten, dass die Aussagen von Strafverfolgungsbeamten und Dritten schwerer wögen als die der Betroffenen selbst. Angesichts der ausländerfeindlichen Hypothese von Prostitutionsgegner_innen, dass allein die Armut im Herkunftsland ein Beleg für „Zwang“ gegenüber Prostitutionsmigrantinnen sei, ist hier zu befürchten, dass Kriminalbeamte vom Schlage Helmut Sporers von der Kriminalpolzei in Augsburg sich über die Aussagen von Sexarbeiterinnen schlicht hinwegsetzen würden. Sporer, der u.a. ein Meldegesetz für Prostituierte und die Wiedereinführung medizinischer Pflichtuntersuchungen fordert, teilt die nicht belegte Ansicht Alice Schwarzers, dass rund 90 Prozent der Frauen in der Prostitution „unter Zwang, unfreiwillig, aus Notlagen heraus oder scheinfreiwillig“ arbeiten. Dieser Aussage nach zu urteilen spricht Sporer 90 Prozent aller Sexarbeiterinnen in Deutschland die Fähigkeit zur freien Willensentscheidung ab. Gepaart mit den Plänen, die Aussagen vermeintlicher Menschenhandelsopfer in Zukunft ignorieren zu wollen, birgt diese Geisteshaltung große Gefahr für die Lage von selbstbestimmt arbeitenden Sexarbeiter_innen.

3. Falschdarstellung der Kontrolle von Prostitutionsstätten

„Zudem werden wir das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessern.“

Entgegen anders lautenden Behauptungen aus der Union und Teilen der SPD gibt es bereits jetzt umfassende Kontrollmöglichkeiten, die auch ausgiebig genutzt werden. Im Land Berlin kann die Steuerfahndung gemeinsam mit der Kriminalpolizei jederzeit und anlasslos jedes Bordell kontrollieren, wie die Einsatzleiter der AG Rotlicht der Kriminalpolizei Berlin bestätigen. Von Stuttgart berichtete Sozialarbeiterin Sabine Constabel in der kürzlichen Podiumsdiskussion mit Alice Schwarzer in Berlin, dass dort jede Sexarbeiterin kontrolliert und erfasst würde. Das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen wiederum wies im Lagebild Menschenhandel 2012 auf die hohe Kontrolldichte in NRW hin, der übrigens eine rückläufige Anzahl der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung gegenüberstand. Die Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf die Situation von Menschenhandelsopfern sei nicht erkennbar sei, so der Bericht.

Demnach trifft die Behauptung, dass die Polizei einen Mangel an Kontrollmöglichkeiten hätte, in Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen nicht zu. Vielmehr blieben die Kontrollmöglichkeiten der Polizei, die auf Länderebene unterschiedlich geregelt sind, vom Prostitutionsgesetz unangetastet. Wenn Prostitutionsgegner_innen das Gegenteil behaupten, sind sie entweder schlecht informiert oder leugnen dies absichtlich, wohingegen Politiker_innen das Thema ausnutzen, um vor ihren Bürger_innen eine gute Figur abzugeben.

4. Behinderung des Kampfs gegen „Zwangsprostitution“

„Wir werden nicht nur gegen die Menschenhändler, sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen, vorgehen.“

Wie oben erwähnt, ist die Frustration über die schwierige Beweislage bei der Strafverfolgung von Menschenhändlern genauso verständlich wie die generelle Absicht löblich ist, diejenigen zu bestrafen, die wissentlich die Zwangslage von Menschenhandelsopfern ausnutzen. In der Praxis ist dieses Wissen jedoch schwer bis gar nicht nachzuweisen und eine weitere Erklärungen dazu bleibt der Passus des Koalitionsvertrags schuldig.

Es steht zu befürchten, dass Kund_innen die Kooperation mit der Polizei scheuen werden, sollte Unsicherheit darüber herrschen, ob sie selbst belangt werden könnten, wenn sie einen Verdacht melden würden. Wie schon in meinem vorigen Beitrag sei hier Pye Jacobsson zitiert, Sexarbeiterin und Sprecherin für Rose Alliance, einer Organisation von und für Sex- und Erotikarbeiter_innen in Schweden.

In der Sexindustrie gibt es Menschen, die missbraucht werden, die leiden, die Opfer von Menschenhandel sind usw. Aber der übliche Weg über den die Polizei von diesen erfährt ist nicht von Sexarbeiterinnen, sondern von Kunden. Denn es gibt durchaus Kunden, die keine Arschlöcher sind, die sagen, ‚das kommt mir komisch war‘, und die rufen bei der Polizei an. Und natürlich rufen sie jetzt nicht mehr die Polizei an, denn wenn sie die Polizei anrufen, werden sie eines Verbrechens angeklagt. (Um das Interview anzusehen, klicken Sie bitte hier.)

5. Mangelhafte Definitionen

„Wir werden die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus der Bekämpfung des Menschenhandels nehmen.“

Da der Passus den Titel „Menschenhandel, Prostitutionsstätten“ trägt, scheint sich der Koalitionsvertrag hier nicht auf die Ausbeutung der Arbeitskraft im Allgemeinen, sondern ausschließlich auf Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung zu beziehen. Es ist anzunehmen, dass dieser Satz eine Anspielung auf sogenannte Flatrate-Bordelle ist, zu denen Undine de Rivière, Sexarbeiterin und Sprecherin des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) folgendes erklärt.

Wir sind generell für den Erhalt der Vielfalt von Arbeitsstätten und Arbeitsweisen in der Sexarbeit. Ich kenne Frauen, die genau so arbeiten möchten – weil sie selbst keine Kundenakquise machen wollen, weil sie das feste Tageshonorar schätzen, weil die Einnahmen dort häufig nicht schlechter, manchmal sogar besser sind. Und, um mal deutlich zu werden: Diese Flatrate-Geschichte hört sich erst einmal, sagen wir, überfordernd an. Aber sie ist vor allem eine Werbegeschichte. Das Flatrate-Konzept lebt nicht zuletzt von männlicher Selbstüberschätzung. Das sind Kunden, die einmal zahlen, zehn Mal wollen und dann zwei Mal können. Aber natürlich gibt es Frauen, die davon überfordert sind, die solche Arbeitsbedingungen nicht möchten und schrecklich finden.

Die genauen Vorhaben einer möglichen schwarz-roten Regierungskoalition, eine Regulierung oder ein Verbot von Flatrate-Bordellen betreffend, bleiben wie so vieles in diesem Abschnitt des Koalitionsvertrags unklar.

Fazit: Eine Mogelpackung der Zwangskoalition

Wie schon das im Bundesrat gescheiterte schwarz-gelbe Gesetz zur Bekämpfung von Menschenhandel und Kontrolle von Prostitutionsstätten verfehlen es die Pläne der angehenden Zwangskoalitionäre von Union und SPD, eine wirksame Bekämpfung des Menschenhandels sowie einen effektiven Opferschutz und ein unbeschränktes Bleiberecht für Menschenhandelsopfer auf den Weg zu bringen. Zudem fehlt es erneut an Definitionen, Definitionen, Definitionen.

Die Finanzierung der geplanten Maßnahmen bleibt ebenso offen wie die Frage des Nachweises der wissentlichen und willentlichen Ausnutzung der Zwangslage von Menschenhandelsopfern und „Zwangsprostitutierten“. Besonders bedenklich ist das Vorhaben, die Aussagen von vermeintlichen Menschenhandelsopfern in Strafverfahren nicht weiter berücksichtigen zu wollen, da es der Bevormundung von selbstbestimmt arbeitenden Sexarbeiter_innen und Migrant_innen Tür und Tor öffnen würde. Angesichts der Forderung eines Helmut Sporers, medizinische Pflichtuntersuchungen für Sexarbeiter_innen wieder einzuführen, scheint der Weg zur verpflichtenden Teilnahme an „Rehabilitationsmaßnahmen“ für Sexarbeiter_innen nicht mehr weit zu sein.

Diese Mogelpackung der CDU/CSU und SPD lässt eine grundlegende Fehleinschätzung der Sachverhalte erkennen, deren Ursache in der anhaltenden Missachtung der Meinungen von Expert_innen, Sexarbeiter_innen und anderen Betroffenen liegt. Dem Koalitionsvertrag nach zu urteilen ist eines gewiss: mit diesen Plänen wird es weder eine wirksame Bekämpfung des Menschenhandels, noch einen wirksamen Schutz für Menschenhandelsopfer geben. Stattdessen steht eine Erosion der Rechte von Sexarbeiter_innen und Migrant_innen zu befürchten.

Das Schlusswort gebührt Undine de Rivière, Sexarbeiterin und Pressesprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD).

Als wäre der parlamentarische Schnellschuss kurz vor der Sommerpause nicht genug gewesen, droht nun schon wieder ein Sammelsurium an diskriminierender und kontraproduktiver Symbolpolitik, die schnellstmöglich den durch Sensationsmedien und Hetzkampagnen geschürten öffentlichen Druck befriedigen soll. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate wird die Chance vertan, sachlich, überlegt und zusammen mit den Betroffenen an funktionierenden Lösungen für die wirklichen Probleme innerhalb der Branche zu arbeiten.


*Zwangsprostitution

Der Begriff „Zwangsprostitution“ ist hier jeweils in Anführungszeichen gesetzt, da er umstritten ist.

„Zwangsprostitution gibt es nicht. Prostitution ist eine freiwillig erbrachte sexuelle Dienstleistung, die einen einvernehmlichen Vertrag zwischen erwachsenen Geschäftspartner/innen voraussetzt. Ohne dieses Einvernehmen handelt es sich nicht um Prostitution, sondern um erzwungene Sexualität und damit um sexualisierte Gewalt.“ – Presseerklärung der Bundesweiten AG Recht und Prostitution vom 14. März 2005

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