Sex, Lügen und Prostitutionsgegner_innen
Wie Prostitutionsgegner_innen die Befürworter_innen von Rechten für Sexarbeiter_innen diffamieren
Der folgende Kommentar wurde gestern auf meinem Blog hinterlassen.
Interessieren Sie sich eigentlich auch für das Leid der Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden und denen es ziemlich schlecht geht? Falls ja, könnten Sie sich Folgendes mal durchlesen: Eure Rechtfertigungen bringen uns um [Beitrag in englischer Sprache]
– Sophie
Anstatt nur unterhalb des Kommentars zu antworten, entschied ich mich einen gesonderten Blogeintrag zu veröffentlichen, um die Diffamierungen zu behandeln, denen sich die Befürworter von Rechten für Sexarbeiter/innen oft ausgesetzt sehen.
Hallo Sophie,
Ich interessiere mich in der Tat auch für Zwangsprostitution, wenn auch nicht mit Ihrer scheinbaren Einschränkung auf Frauen. Den Text, den Sie mir schickten, kannte ich bereits. Auch wenn ich die persönlichen Erfahrungen der Autorin mitnichten bestreiten möchte, habe ich sowohl mit der Botschaft, die ihr Text vermitteln möchte, große Probleme, als auch mit den krassen Lügen, die sie verbreitet.
“Too much of the Left is made of male-thought, and in this thinking it not surprising that the Left has always justify the sex trade, and ignore the reality of life for the prostituted.” – Rebecca Mott
Um dem nur mal ein Beispiel entgegenzuhalten, sei hier das deutsche Prostitutionsgesetz (ProstG) erwähnt, welches von den Frauen von Bündnis 90/Die Grünen auf den Weg gebracht wurde, die mitnichten die Realität von Sexarbeiter/innen ignorierten. Das ProstG schaffte den Straftatbestand der „Förderung der Prostitution“ ab und ermöglichte, dass bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden konnten ohne sich strafbar zu machen.
Wenn wir schon davon reden, welche Gruppierungen welchen Diskurs bestimmen, wie wäre es dann, sich einmal anzusehen, aus welchem Spektrum die Prostitutionsgegner/innen stammen. Meinem Eindruck nach setzen sich diese mit grosser Mehrheit aus radikalen Feministinnen und Angehörigen diverser Glaubensgemeinschaften zusammen.
Es sind diese, die die Realitäten von Sexarbeiter/innen ignorieren, da sich ihre Meinungen oft ausschliesslich auf ihre Moralvorstellungen und widerlegte Forschungen stützt. Ich habe allerdings kein Problem damit, wenn jemand Sexarbeit für sich nicht als erstrebenswerten Beruf erachtet, oder wenn der- oder diejenige darüber schreibt und andere zum Nachdenken bewegen möchte. Das steht selbstverständlich jedem und jeder frei. Doch dabei belassen es Prostitutiongegner/innen nicht.
“Wenn Du protestierst, dass Du kein Opfer bist, sagen Sie, dass Du an einem falschen Bewusstsein leidest. Und wenn Du versuchst sie zu überzeugen, dass Du nicht an einem falschen Bewusstsein leidest, sagen sie: ‘Naja, dann bist Du nicht repräsentativ.'” – Pye Jacobsson, Swedish sex worker and activist URL
Der Ausdruck „prostituted“ vermittelt den Eindruck, dass Sexarbeiter/innen nicht in der Lage sind, eigene Entscheidungen zu treffen. „to be prostituted“ ist ein transitiver Begriff. Ebenso vermittelt im Deutschen der Ausdruck „sich zu prostituieren“, dass Sexarbeit keine Arbeit sein kann. Ein Bauarbeiter „bauarbeitet“ sich ja auch nicht.
“I am tired of everyone letting the left off the hook – I tired of waiting for the Left to get on board with abolition – I tired of men who Leftist making their porn stash and their consumption of the prostituted is somehow better than right-wing men who do exactly the same.” – Rebecca Mott
Mich hingegen ermüdet, dass Zwangsprostitution und Pornografie immer wieder auf’s Neue vermengt werden, und dass diejenigen, die gegen eine Kriminalisierung der Sexarbeit sind, als Befürworter von sexueller Ausbeutung dargestellt werden.
“In this post, I will speak of the many leftist cliches that have said to me, or I have read, or had fed to me by the media.” – Rebecca Mott
Ich Weiss nicht, welche Medien die Autorin konsumiert, aber ich kann ihren Eindruck nicht unterstützen, dass in den Medien eine Kampagne für die Rechte von Sexarbeiterinnen im Gange sei. Vielmehr besetzen die Prostitutionsgegner/innen meist die Debatte und machen Andersdenkende mundtot. (Siehe auch Beitrag vom 10. April über die Maischberger-Sendung, bei der die Prostitutionsgegnerin Alice Schwarzer eben die von Pye Jacobsson erwähnte Methode anwendete.)
Ein typisches Beispiel dafür ist die folgende Aussage.
“Much of the poison-speech by the Left is the language of pimps and punters – men who are not pimps and punters parrots their words without questioning. I was consumed by many Leftist punters who justify all their tortures – I had profiteers selling me who imagine they were on the Left, hell they were sexual outlaws, they were empowering women, they were model-day freedom fighters.” – Rebecca Mott
Wenn man mit Prostitutionsgegner/innen also nicht übereinstimmt, wird man als Zuhälter, Freier, Folterer, oder – wie hier – als willenloser Papagei denunziert.
“I write to the Left, for my heart is exploring with pain and grief – silence round the Left betraying the prostituted class is killing the prostituted every day.” – Rebecca Mott
Und wieder wird der Eindruck vermittelt, dass bei den Linken die Realität ignoriert würde. Ich wüsste gerne, welche Linken hier gemeint sind, aber diese zu benennen, bleibt die Autorin schuldig. Den derzeitigen Kriterien zufolge, bin ich wohl als Linker anzusehen, und ich für meinen Teil habe mehrfach den Dialog mit Prostitutionsgegner/innen gesucht, mit dem Erfolg, das versucht wurde, mich zu diffamieren, meine Darstellungen ins Gegenteil zu verzerren oder mich niederzuschreien.
“The major one is that if you unionise the sex trade, then it will be fine and dandy. I agree with unions for workers – but there we the major flaw – being embedded in the sex trade is not work, the prostituted class are not workers. They are in the conditions of slavery, of having their human rights stripped from them – they are not workers. To frame it as work, where all that need to be done putting in basic health and safety regulations, all that need to be done is to get a shop steward who go to the sex trade profiteer and speak of working rights for the prostituted. Think a little, and you will see this is nonsense.” – Rebecca Mott
In der Tat sind Gewerkschaften für Sexarbeiter/innen kein Allheilmittel. Die Idee, dass ohne solche Vertretungen nachhaltige Verbesserungen zu erreichen wären, halte ich jedoch für einen Irrglauben. Die Interessen von Sexarbeiter/innen vertreten diese am besten selbst. Zu diesen Interessen gehört übrigens sehr wohl auch die Bekämpfung von Zwangsprostitution und Gewalt. So lange wie Prostitutionsgegner/innen jedoch die Sexarbeit an sich bekämpfen, ist hier kaum ein Schulterschluss mit Sexarbeiter/innen zu erwarten. Sexarbeit ist Arbeit. Zwangsprostitution ist Zwangsarbeit.
“When there are unions for the prostituted – they always are dominated by the profiteers, punters and those who support painting the myth that the sex trade is safe.” – Rebecca Mott
Das ist schlichtweg eine Lüge. Informationen über Organisationen von Sexarbeiter/innen sind leicht einzuholen. Ich empfehle The Global Network of Sex Work Projects (NSWP) als Start.
“Unions that exist do not include the prostitute who is trapped in a brothel, do not include women in the porn that is daily torture, do not include the under-aged prostitute trapped in a room with lines of men consuming her.” – Rebecca Mott
Es ist sicherlich richtig, dass Zwangsprostitutierte in den meisten Fällen keinen Zugang zu Sexarbeiterorganisationen haben. Es ist aber auch richtig, dass Zwangsprostitutierte die Minderheit von Sexarbeiter/innen darstellen. Was ist also die Antwort? Die Organisationen von Sexarbeiter/innen, die, wie jede und jeder andere Berufstätige, ihrer Arbeit aus eigenem Antrieb nachgehen, zu diffamieren, inklusive der Dienste und Hilfen, die sie anbieten? Diese beinhalten u.a. auch Ausstiegshilfen, Beratungen bei mentalen Problemen wie z.B. dem Sexworker Burnout, oder die Möglichkeit, Verdachtsfälle von Zwangsprostitution zu melden. Klingt das abzuschaffen wie ein guter Plan?
“No, unions are not for the ordinary and average woman or girl – for those unions have no intention to stop the routine rapes, the routine beating ups, the routine throwing away of the prostituted. No, the purpose of these unions is to whitewash away all the normal male hate and violence that underpins all aspects of the sex trade.” – Rebecca Mott
Siehe oben. Über die Zielsetzungen der Organisationen von Sexarbeiter/innen kann sich jede und jeder selbst ein Bild machen. Die hier beschriebenen angeblichen Zielsetzungen sind eine dreiste Diffamierung.
“Do not back any sex trade union – they do not give a damn about the prostituted, they care about pimps and punters.” – Rebecca Mott
Diese Aussage belegt, dass der Autorin mitnichten die Rechte von Sexarbeiter/innen am Herzen liegt.
“It is a union run and controlled by managers, but more by managers who view the prostituted as goods and never as humans. Your belief in unions is killing the prostituted every day.” – Rebecca Mott
Wieder bleibt die Autorin schuldig, von welcher Gewerkschaft oder welchen Gewerkschaften sie spricht. Ihre Aussage ist eine Generalverurteilung sämtlicher Sexarbeiterorganisationen, die darauf abzielt, deren Mitglieder und deren Arbeit zu diffamieren.
Ich werde daher nicht auf jeden weiteren Abschnitt eingehen, sondern nur noch auf einige einzelne Punkte.
Sexarbeiterinnen protestieren gegen Polizei-Razzien in Seoul [Photo: AP/Lee Jin-man]
“I would see punters who had brutalise me and other prostitutes on marches, in meetings or part of liberal religions – fighting with all the might for rights and dignity of all humans.” – Rebecca Mott
Ich habe den von anderen geäusserten Verdacht, dass Sexarbeiter/innnen zur Teilnahme an Demonstrationen gezwungen wurden, gegenüber Sexarbeiterinnen in Südkorea angesprochen, die von der Autorin wohl zu diesem „linken Menschenrechtlergesocks“ gezählt würden. Keine von ihnen konnte den Verdacht bestätigen.
“That when I learnt the lesson I have never lost – these men did not fight for the dignity and rights of the prostituted foe we were not and cannot be classed as humans – we were just goods for them to use to consume and throw away.” – Rebecca Mott
Ich glaube, dass die Informationen, die ich auf meinem Blog und per Facebook veröffentlicht habe, für sich sprechen und die Darstellung „dieser Männer“ durch der Autorin widerlegen.
“We were not given access to human rights” – Rebecca Mott
Hier stimme ich zu. Die Rechte von Sexarbeiter/innen werden in der Tat oft verletzt und nur eine unaufgeregte Diskussion darüber, mithilfe welcher Massnahmen dem entgegengewirkt werden kann, wird Menschenrechtsverletzungen nachhaltig verringern. An diesen Diskussionen müssen Sexarbeiter/innen nicht nur teilnehmen – sie müssen die Protagonist/innen sein.
“Please question your Leftist views if they discard the prostituted class.” – Rebecca Mott
Eine jede und ein jeder hinterfrage ihre oder seine Ansichten, sollten sie die Rechte von Sexarbeiterinnen untergraben. Ohne diese zu gewährleisten, werden Zwangsprostitution und Gewalt in der Sexarbeit nicht effektiv bekämpft werden können.
Sex Workers’ Freedom Rally in Kalkutta, Indien [Foto: Matt Lemon Photography]
Klicken Sie hier, um die fast einhundert Kommentare zu der englischen Version dieses Beitrags zu lesen.
Forschungsprojekt Korea, 31. Oktober 2012
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